* Startseite
über SVV
* Informationen
* Interview
* Fragen zu SVV
professionelle
Hilfe
* Wege zur Thera
* Adressen
* Therapieformen
* online-Hilfe
praktische
Selbsthilfe
* Ratschläge für
Angehörige
* Alternativen zu SVV
* Tipps
* Selbsthilfe
Austausch über
* Forum
* Chat
* Gästebuch
* e-Mail
* andere Foren
Erfahrungs-
berichte
* Betroffene
* Angehörige
* kreative Beiträge
Literatur
und Medien
* Bücher
* Medienberichte
* Internet
* SVV-Websites
* private Homepages
weitere
Aspekte
* Gedanken
* über diese HP
* SVV-Projekte
* Prominente
Organisatorisches
* Downloads
* Technisches
* Chronologisches
* Aktualisierung
* Danke
|
Schwerbenhaufen
Hexe, 15 w
Mein Scherbenhaufen begann mit 11 Jahren. Nein. Er
begann viel früher. Die Selbstverletzung ist nur das Resultat
aus dem
Scherbenhaufen, der sich mein Leben nennt. Im Jahre 1995 wurde ich
geboren. Ich
war ein gesundes, großes Baby. Anhänglich und sehr
quängelnd, wenn ich etwas
nicht bekam. Meine großen Augen zogen schon damals besondere
Aufmerksamkeit auf
sich. Bis ich 18 Monate alt war, sollte alles gut gehen. Doch dann kam
der erste
Schlag: Meine Mutter erlitt zwei Bandscheibenvorfälle auf
einmal, lag mehrere
Nächte vor Schmerzen weinend im Bett. Meine Schwester, die
zwei Jahre älter
ist, und ich saßen an ihrem Bett, hielten ihre Hand und
fragten, was los sei.
Kinder in diesem Alter geben sich für alles die Schuld. Wenn
drei Meter von
ihnen entfernt etwas herunter fällt, denken sie, sie sind
schuld. Das ist die
normale Entwicklung. So war es auch bei mir: Ich gab mir die Schuld
für die
Krankheit meiner Mutter. Schließlich wurde sie spät
abends mit dem Krankenwagen
abgeholt. Mein Vater nahm mich von der Liege, auf der meine Mutter lag,
und
blieb mit mir und meiner Schwester in der Auffahrt stehen,
während meine Mutter
in den Krankenwagen geschoben wurde. Der Wagen fuhr langsam die
Straße
hinunter, verschwand aus meinem Blickfeld. Ich muss geschriehen haben,
wie am
Spieß. Doch es half nichts.
Meine geliebte Mutter, an der ich schon früh so sehr hing,
sollte für 9 Montate
fort bleiben. Jede Nacht war eine Qual für mich und meine
Familie. Ich schrie
jeden Abend, weinte mich in den Schlaf. Neun lange Monate hindurch.
Nach der besagten Zeit kam meine Mutter wieder nach Hause. Die
Arbeiterinnen
der Sozialstation begleiteten uns über zwei Jahre hindurch.
Immer wieder musste
meine Mutter in Kliniken und zu Untersuchungen in ganz
Baden-Württemberg und
Bayern. Im Alter von drei Jahren zeigten sich die ersten Folgen des
Erlebten:
Ich bekam heftige Wutanfälle, schrie und schlug um mich. Seit
dem meine Mutter
wieder zurück war, schlief ich nicht ein, wenn sie nicht neben
mir stand. Bis
zu meinem 13. Lebensjahr habe ich nie irgendwo ohne sie
übernachtet, jedenfalls
nicht ohne Weinkrämpfe von über drei Stunden und
großer Verzweiflung. Für eben
jene erste Folgen lachte man mich seit der Entstehung aus: Für
meine
Wutanfälle, meine Angst und meine verzweifelten Schreie nach
meiner Mutter.
Noch heute kann ich die Stimme meines Vaters in meinen Ohren
hören, wie er
meine Schreie nachäfft und meine Schwester daneben lacht. Ich
bin niemandem
dafür böse. Meine Schwester wusste es nicht besser,
sie war damals auch noch
ein Kind. Mein Vater ist ein Gefühlstollpatsch, wie ich es zu
sagen pflege. Er
hat selbst nie Liebe erfahren dürfen.
Meine Kindergartenzeit war - abgesehen von den Verlustängsten
- eine schöne.
Jedenfalls im Vergleich zu meiner Schulzeit. Die erste Klasse verlief
recht
angenehm ohne einschneidende Erlebnisse. Ich verbrachte jede freie
Minute mit
meiner Besten Freundin, die ich seit der Krabbelgruppe kannte. Heute
sehe ich
sie nur noch einmal im Jahr, wenn wir grußlos aneinander
vorbeilaufen, uns
zufällig im Dorf begegnet sind. Wir spielen Menschen, die sich
nie in ihrem
Leben gekannt haben. In der zweiten Klasse begann der Albtraum: Meine
beste
Freundin, die mir ewige Freundschaft geschworen hatte, wendete sich von
mir ab.
Ich stand alleine da. In der dritten Klasse begann das Mobbing. Warum?
Nun, ich
war anders. Ich ritt für mein Leben gerne, turnte sehr gut und
war eine gute
Schülerin. Vielleicht waren sie eifersüchtig. Vllt
hassten sie mich auch einfach
für das, was ich war.
Der Schulwechsel auf das Gymnasium brachte Veränderung. Ich
trug nicht mehr
länger die abgetragenen, ausgeleierten Kleider meiner
Schwester, sondern
bettelte meine Mutter an, enge, angesagte Jeans tragen zu
dürfen. Ich suchte
mir meine Kleider von nun an eigenständig aus, kombinierte
weiterhin selbst.
Ich genoss große Beliebtheit, wurde nur ab und zu mit meinem
Pferdeeifer
geneckt. Vermutlich habe ich diesen wundervollen Tieren einiges zu
verdanken.
Sie gaben mir immer den Mut, weiter zu machen. Ab meinem
fünften Lebensjahr
hatte ich Suizidgedanken, die mich mein Leben lang begleiten sollten.
Die
Pferde und meine Katze gaben mir immer den Halt, den ich von
menschlichen Wesen
nicht erwarten konnte.
Gegen Anfang der sechsten Klasse kam ich mit meinem ersten Freund
zusammen. Wir
waren das erste Paar der Klasse und dementsprechend immer Stoff der
neusten
Gerüchte. Im Nachhinein ist diese Geschichte recht
amüsant, wie zwei Kinder
eine ganze Klassenstufe verwirren können =). Weniger
amüsant war das, was mir
im Frühjahr der sechsten Klasse im Alter von 11 Jahren
widerfuhr: Mein
Großvater hatte mich an einem Nachmittag, an dem wir alleine
waren, angefasst.
Nicht so, wie es ein Großvater zu tun pflegt. Er startete
einen sexuellen
Übergriff auf mich. Ob er mich vergewaltigt hat,
weiß ich nicht. Mir fehlt
jegliche Erinnerung. Ich weiß nur den Anfang und das Ende
dieses Geschehens,
wie ich wieder auf dem Sofa saß. Es gibt Anzeichen, dass er
mich vergewaltigt
haben muss. Beispielsweise das Blut in meiner Unterhose,
welches von
sichtbaren Verletzungen im Intimbereich stammte. Genau wissen werde ich
es
erst, wenn ich wieder einigermaßen stabil bin. Erst dann wird
meine Therapeutin
mit mir dieses Thema aufarbeiten.
Dieses Erlebniss war nicht die einzige schlechte Erfahrung im sexuellen
Bereich: Zuvor hatte auch mein Cousin begonnen, mich mit mehr als nur
freundschaftlichen Berührungen anzufassen. Mein zweiter Freund
in der siebten
Klasse musste die schlechte Erfahrung machen, dass ich kräftig
zuschlagen
konnte, wenn er mir zu nahe kam. Mehr als einmal hat er es nicht gewagt.
Das war der gröbste Teil des Scherbenhaufens. Nach dem
Übergriff meines
Großvaters beann die Selbstverletzung. Suizidversuche und
Gedanken daran hatte
ich schon längst. Mit 14 folgte mein fünfter Versuch,
diesmal jedoch ernsthaft.
Die Selbstverletzung erhielt eine lange Pause, die ca. drei Jahre
andauerte.
Mit 14 erinnerte ich mich an das Gefühl des Schmerzes, die
ersten Depressionen
klopften an meine Türe. Im Oktober begann ich, mich
täglich zu schneiden. Im
Dezember folgte der Suizidversuch. Anschließend kam ich in
eine Klinik, das war
im Januar. Ich böieb fünf Wochen, bis ich abbrach.
Die Sehnsucht war enorm,
dazu plagten mich die Verlustängste. Ende Februar wurde ich
entlassen. Ich
schaffte es, mich drei Wochen nicht zu verletzen.
Anschließend begann das
Theater von vorne, diesmal jedoch tiefer. Im Juli war ich bei einer
Tiefe von
1.6 cm angelangt, hatte innerhalb von 14 Tagen 10 Kilo verloren. Ich
sollte
wieder in eine Klinik. Doch es kam der Sommer. Meine Freunde gaben mir
Halt.
Jeden Tag war ich im Stall bei meinem Pferd. Er gab mir die Kraft,
weiter zu
machen. Den Morgen verbrachte ich im Stall, den Abend bei meinen
Freunden. Sie
fingen mich auf, wenn ich zu fallen drohte. Dafür
möchte ich ihnen danken:
Leute, ihr seid die Besten! Ende August kam mein erstes
großes Festival. 40 000
Leute, 100 Künstler und vier Tage. Das Summer Breeze 2010 war
eine geniale
Erfahrung. Seit ich 13 bin, treibe ich mich in der Szene herum. Es
begann mit
einem Konzert einer Mittelalterband, anschließend wurde ich
von einem Metaler
mit zu einem großen Treffpunkt an der frischen Luft
geschleppt. Dort treffen
sich im Sommer bis zu 200 Jugendliche aus verschiedensten Szenen: Von
Hippies
über Punks, zu Metalern und Goths bishin zum Cyber. Diese
Leute, vorallem die
Goths und Metaler gaben mir enorm viel. Jeder hier hat seine eigenen
Probleme,
jeder war mindstens schon einmal in psychologischer Behandlung. Und
doch halten
wir zusammen und geben einander Kraft. Es ist die vermutlichst besten
Freunde,
die man haben kann.
Der Sommer war eine wunderschöne Zeit für mich. Auch,
wenn es schwierig war,
meine Arme und damit die Wunden immer zu verstecken, gerade in der
Schule. Ich
schaffte es, mich bis Ende Oktober nicht zu schneiden. Dann kam der
Rückfall.
Ich feierte meinen 15. Geburtstag mit einigen Freunden nach. Wir trafen
hier
per Zufall noch einige andere Freunde, mit denen wir in eine Kneipe
gingen. Wir
waren zu zehnt, ich war die einzige Minderjährige. Daher kam
ich auch in die
Kneipe. Der Abend war angenehm. Bis wir anfingen, uns über
Politik und später
auch über die Todesstrafe zu unterhalten. Ich argumentierte
gegen die
Todesstrafe, eine Freundin dafür. Ein Freund, der nicht zu
meiner Gästeliste
gezählt hatte, stieß dazu. Er wusste von meiner
Vorgeschichte, jedenfalls von
dem sexuellen Übergriff. Leider hat er ADHS, was uns diesmal
zum Verhengnis
wurde. Seine Argumente waren ebenfalls für die Todesstrafe.
Ich war wie gesagt
dagegen. Darauf hin stellte er mir jene Aufgabe: Ich sollte mir
vorstellen, wie
meine Schwester vergewaltigt würde. Die Überlegung
sollte sein, was ich mit dem
Täter machen wolle. Nun, ich hatte genügend
Stärke und Kraft gesammelt, um ihm
ins Gesicht sagen zu können, das dieses Thema nicht geeignet
wäre, nicht für
mich. Er drängelte weiterhin mit der Aufgabe. Nun, ich
widersprach ihm dreimal.
Dann war meine Reserve aufgebraucht. Ich verlies die Kneipe, rannte
hinaus.
Meine Schwester mir hinterher. Er kam später noch, um sich zu
entschuldigen, doch
es war zu spät. Wir holten meine Gäste, zahlten und
verließen fluchtartig die
Kneipe. Ich weiß nicht mehr, wie ich nach Hause kam. Man
erzählte mir später,
ich sei völlig in trance den Weg entlang gestakst und
hätte später der Uhr eine
Stunde lang zu gesehen, wie sie weiter lief. Irgendwann schob meine
Schwester
mir die Notfalltropfen in den Mund, die ich immer auf Lager hatte.
Anschließend
konnte ich mich mit Skills wieder 'ins Leben' rufen. Am
nächsten Tag jedoch
folgte der Schnitt. Zwei Wochen später der nächste.
Und widerum zwei Wochen
später war ich wieder komplett ins alte Muster zurück
verfallen. Über Silvester
war ich wieder in einer Klinik, als Kriesenintervention. Ich wurde in
den
Time-out gesteckt, starke Suizidalität. Nichtmals mehr alleine
auf die Toilette
durfte ich gehen. Nach sechs Tagen Kampf hatte ich meine Eltern soweit,
dass
sie mich abholten. Zuhause verletzte ich mich wieder, wie ich es die
Wochen
zuvor getan hatte. In der Klinik wurde mir mit der Fixierliege gedroht,
sollte
ich mich verletzen. War ich erst entlassen, schnitt ich mir die Arme
wieder bis
zu einer Tiefe von 1.6 cm auf, schüttete mir kochendes Wasser
über die Arme und
verbrannte mich mit dem Räucherstäbchen.
Dort stehe ich jetzt. Genau das ist es, was ich gerade tue. Die
Suizidgedanken
sind noch immer da. Doch ich brauche erst einen konkreten Plan, ehe ich
es
wieder versuchen kann. Momentan bin ich auf der Suche nach einer hoch
genugen
Brücke. Jedoch habe ich versprochen, mich bis zum
März nicht umzubringen.
Solange kann ich nur planen.
Mein Leben ist ein Scherbenhaufen. Ich will Teil von ihm werden. Ich
lebe in
ihm. Er ist mein Käfig. Er schneidet mich blutig. Ich lebe
das, was ich bin:
Ein Scherbenhaufen.
Ich möchte solange schon aufhören. Doch es geht
nicht. Noch nicht. Ich hoffe
auf den Sommer. Denn dann werde ich das gleiche wieder erleben: Pferd,
Freunde,
Festivals. Vielleicht schaffe ich dieses Jahr den Durchbruch. Ich hoffe
es.
08.01.2011
weiter blättern >>>
Übersicht Erfahrungsberichte 101 - 200
Übersicht Erfahrungsberichte 1 - 100
|